You are currently viewing Kasuistik 03 — Patient mit chronischen Rückenschmerzen, Spinalkanalstenose

Kasuistik 03 — Patient mit chronischen Rückenschmerzen, Spinalkanalstenose

Medizinische Diagnose bzw. Behandlungsanlass:

Pati­ent mit chro­ni­schen Rücken­schmer­zen, ins­be­son­de­re LWS-Syn­drom mit mäßig aus­ge­präg­ter Spinalkanalstenose.

Kasuistik

Der 51 ‑jäh­ri­ge nor­mal­ge­wich­ti­ge Pati­ent, Herr S. ist bereits seit vie­len Jah­ren bei mir in haus­ärzt­li­cher Behand­lung. Anfangs kam er haupt­säch­lich wegen Rücken­schmer­zen, ins­be­son­de­re HWS- und BWS-Beschwer­den, die ich meis­tens gut chi­ro­the­ra­peu­tisch behan­deln konn­te. Er arbei­tet als Ver­mes­sungs­tech­ni­ker, d.h. haupt­säch­lich Büro-und Bild­schirm­ar­beit, aber auch Aus­wärts­ter­mi­ne mit Geschäftsleuten.

Vor ca. 3 Jah­ren kamen wei­te­re Gelenk­be­schwer­den hin­zu: Schul­ter­schmer­zen rechts, HWS-Schul­ter-Nacken-Beschwer­den mit Aus­strah­lung in die rech­te Hand (Krib­bel­par­äs­the­sien). Dann auch Hüft­schmer­zen. Er war auch in ortho­pä­di­scher Behand­lung, was bis­lang aller­dings nicht zu einer Bes­se­rung der Beschwer­den führte.

Bes­se­rung durch Deh­nen und Stre­cken und auch durch Wär­me. Eine ein­deu­ti­ge Bewe­gungs­mo­da­li­tät besteht nicht. In der Ver­gan­gen­heit hat­te er immer ger­ne Sport gemacht, sogar eine chi­ne­si­sche Kampf­sport­art. Er schwitzt eher viel. Nah­rungs­mo­da­li­tä­ten: kei­ne cha­rak­te­ris­ti­schen Vor­lie­ben oder Abnei­gun­gen zu eruieren.

Damals brach­te die Ver­ord­nung von Aci­dum muria­ti­cum C200 eine Bes­se­rung der Schul­ter­schmer­zen. Jedoch wur­den die Rücken­schmer­zen wie­der schlimmer.

In den nächs­ten zwei Jah­ren ist er in ortho­pä­di­scher Behand­lung, im Ver­lauf wer­den MRTs (= Magnet­re­so­nanz­to­mo­gra­phie, Kern­spin) ange­fer­tigt: BSV (Band­schei­ben­vor­fall) in der Brust­wir­bel­säu­le Th5|7, LWS (Len­den­wir­bel­säu­le): LWK 4|5 BSV mit Pseu­do­spon­dy­lo­lis­the­sis (= Wir­bel­glei­ten, Seg­ment­ver­schie­bung), leich­te Spi­nal­ka­nals­teno­se (Wir­bel­ka­nal­en­ge). HWS BSV HWK 5|6 re.. Durch­ge­hen­de Behand­lung durch Ortho­pä­den, ein­schließ­lich PRT (Per­i­ra­di­ku­lä­re The­ra­pie = Sprit­zen an die Wir­bel­säu­le unter Rönt­gen-Kon­trol­le). Zudem wur­de ein Kar­pal­tun­nel-Syn­drom fest­ge­stellt, hier wur­den Cor­ti­son­sprit­zen ver­ab­reicht. NSAR-Ein­nah­me (Ibu­profen) über ein Jahr. Zuletzt dann lang­sa­me Bes­se­rung, geht auch wie­der arbei­ten, Rest­be­schwer­den: Schmer­zen im rech­ten Bein, ins­be­son­de­re nach län­ge­rer Gehstrecke.

Homöopathische Anamnese:

Vor 8 Mona­ten erfolg­te erneut eine aus­führ­li­che homöo­pa­thi­sche Anamnese:

Haupt­be­schwer­de: Leich­te Schmer­zen und Taub­heits­ge­fühl im rech­ten Bein, vor allem aber eine Schwä­che im re. Bein, was aber erst nach län­ge­rer Geh­stre­cke (500 m) auf­tritt. Dann beginnt der Schmerz am re. Fuß und zieht dann im Ischi­as­ver­lauf hoch nach oben bis in die Hüf­te (aber nicht immer kon­stant, son­dern auch wech­seln­de Beschwer­den). Das Bein wird ihm schwer und irgend­wie wie fest­ge­klebt. Er muss sich dann kurz aus­ru­hen und kann dann wei­ter­ge­hen. Auch Deh­nen des Bei­nes (Schnei­der­sitz­po­si­ti­on) bes­sert; eben­so Mas­sie­ren. Die­se typi­sche Clau­di­ca­tio-Sym­pto­ma­tik spricht natür­lich für eine LWS Spi­nal­ka­nals­teno­se (Enge des Ner­ven­ka­nals), das neu ange­fer­tig­te MRT zeigt auch deut­li­che dege­ne­ra­ti­ve Ver­än­de­run­gen, aller­dings zum Glück kei­ne ope­ra­ti­ons­be­dürf­ti­ge Spi­nal­ka­nals­teno­se. Das Bein wird zuneh­mend kraft­los beim Gehen. Er möch­te sich aber eigent­lich bewe­gen, ist bedrückt, weil er z. B. kei­nen Sport mehr machen kann. In Ruhe hat er kei­ne Beschwer­den. Wär­me bes­sert (z. B. beim Urlaub auf Kre­ta konn­te er sich bes­ser belas­ten). Er wäre schon zufrie­den, wenn er wie­der einen Kilo­me­ter weit gehen könnte.

Die Ana­mne­se gestal­tet sich etwas zäh, da der Pati­ent sehr abschwei­fend und umständ­lich erzählt (Dabei fällt auf, dass er immer wie­der ohne trif­ti­gen Grund im Rede­fluss lacht). Er erzählt etwas fah­rig, aber sehr aus­führ­lich über sei­ne Arbeit, die ihm sehr wich­tig ist. An sei­nen Auf­ga­ben „beißt er sich fest“, will sie unbe­dingt zu Ende brin­gen. Er schil­dert sich vom Cha­rak­ter her als beharr­lich, zurückhaltend.

Analyse, Repertorisation und Mittelfindung:

Ana­ly­se Sankaran:

  • Pflan­ze
  • Emp­fin­dung:

Pflan­zen­fa­mi­lie Emp­fin­den Pas­si­ve Reak­ti­on Akti­ve Reak­ti­on Kom­pen­sie­rung
Hama­mel­i­dae Zusam­men-gedrückt. Schwer. Drü­ckend. Belas­tung. Begrenzt. Schlep­pend. Fest­ge­macht. Ein­ge­sperrt. Gegen­teil: Leich­tig­keit, Fliegen. Dumpf­heit, Stumpf­heit der Sin­ne. Geer­det, am Boden, alle Bewe­gun­gen kom­men zum Still­stand. Nei­gung sich hin­zu­le­gen. Rast, Aus­ru­hen brin­gen Bes­se­rung. Abnei­gung gegen Bewe­gung. Gelähmt. Depri­miert, Traurigkeit. Flie­gen. Schwe­ben. Fri­sche Luft bringt Bes­se­rung. Bewe­gung bringt Besserung. Passt sich an, auf eng begrenz­tem Raum zu leben.

  • Mias­ma: „Bin mit weni­gem zufrie­den“, kei­ne gro­ßen Ver­än­de­run­gen = Sykose

Repertorisation (RADAR Synthesis 10)

Mittelwahl:

Can­na­bis indi­go C200

Materia Medica – Abgleich

Hier eini­ge Pas­sa­gen aus J. T. Kent: Homöo­pa­thi­sche Arz­nei­mit­tel­bil­der (Haug-Ver­lag):

Indischer Hanf (Cannabis indica)

Ein eigen­ar­ti­ges eksta­ti­sches Gefühl durch­dringt den Kör­per und die Sin­ne. Glied­ma­ßen und ande­re Kör­per­tei­le erschei­nen ver­grö­ßert. Ein Schau­der der Glück­se­lig­keit durch­läuft die Glie­der. Die Glie­der zit­tern. Der gan­ze Kör­per wird von gro­ßer Schwä­che befal­len. Kata­lep­sie­ähn­li­che Sym­pto­me. Emp­fin­dungs­lo­sig­keit der Haut und Aus­fall der Tie­fen­sen­si­bi­li­tät. Die Beschwer­den wer­den all­ge­mein durch Ruhe gebes­sert. Exal­tier­te Stim­mung mit gro­ßer Fröh­lich­keit. ……. Zusam­men­hang­lo­ses Reden. Jam­mern und Wei­nen. Lacht und weint durch den gerings­ten Anlass. Lacht selbst über ernst gemein­te Bemer­kun­gen. Anfalls­wei­ses Aus­bre­chen in Geläch­ter. Sehr zum Scher­zen auf­ge­legt. …….. Gro­ße Trau­rig­keit. ……. All­ge­mein bes­sern sich die psy­chi­schen Sym­pto­me durch Gehen im Frei­en, wäh­rend für die Schwä­che­zu­stän­de des Mit­tels eher das Gegen­teil zutrifft: Ihm schwin­den im Frei­en die Sin­ne, und er fällt zu Boden. ….. Sein Kopf ist vol­ler unfer­ti­ger Ideen und Phan­ta­sie­ge­bil­de. Stän­dig pro­du­ziert sein Gehirn neue, groß­ar­ti­ge Theo­rien. Außer­or­dent­li­che Red­se­lig­keit. Er hat sei­nen Geist nicht so weit unter Kon­trol­le, dass er ratio­nal über eine Sache nach­den­ken kann……….Läh­mi­ge Schwä­che bis hin zu völ­li­ger Läh­mung der Glied­ma­ßen, beson­ders der Bei­ne. ……… Taub­heits­ge­fühl der lin­ken Fuß­soh­le, dann des Fußes und schließ­lich des gan­zen Beins. ….

Verlauf, Follow up:

Fol­low up nach ca. wei­te­ren 6 Wochen:

Ist ernst­haf­ter gewor­den. Altes Sym­ptom kommt zurück: Schul­ter-Nacken-Schmerz rechts. Ist akti­ver, küm­mert sich um sei­ne Gesund­heit. Macht REHA-Sport.

Fol­low up nach ca. wei­te­ren 6 Wochen:

Deut­li­che Bes­se­rung, kann wie­der über 2,5 km gehen! Viel gefass­ter, geord­ne­ter in sei­nen Gedankengängen.

Bis­lang kei­ne Rück­fall, ist weit­ge­hend beschwerdefrei.

Fazit:

Hier sieht man sehr schön, dass die Ver­ord­nung nach bewähr­ter Indi­ka­ti­on (Bryo­nia, Ruta o.ä.) nichts gebracht hät­te. Gera­de ein Mit­tel, wo man bei die­ser Indi­ka­ti­on wohl nicht so schnell dran den­ken wür­de, näm­lich Can­na­bis indi­ca, bringt hier den Erfolg. Und noch eins: Natür­lich ist Can­na­bis indi­ca (homöo­pa­thisch) jetzt nicht das uni­ver­sel­le Heil­mit­tel für “Spi­nal­ka­nals­teno­se”. Nur wenn die indi­vi­du­el­len Cha­rak­te­ris­ti­ka beach­tet wer­den, “der gan­ze Fall betrach­tet wird”, dann wird das Mit­tel als “Simi­le” hel­fen können.

Copy­right Dr. Kars­ten Karad 2020

Schreibe einen Kommentar

− 6 = 3