Kasuistik
Josefine (Name geändert) wurde 2004 geboren. Sie kam im Juni 2005 zu mir in Behandlung; da war sie gerade mal ein halbes Jahr alt. Die Geburt war nicht so ganz einfach gewesen: Sectio (Kaiserschnitt) bei Zwillingsgeburt. Sie hat noch einen Zwillingsbruder.
Gleich nach der Geburt zunächst verstärkt Milchschorf, dann Entwicklung eines mäßig ausgeprägtem neurodermitischen Ekzems mit trockenen, juckenden Hautrötungen und –entzündungen im Gesicht, Bauchbereich, Ellen- und Kniebeuge sowie geringer auch an den Handgelenken.
Von der Konstitution her war Josefine eher zart, feine, dünne Haare; es war kein „propperes Baby“.
Sie bekam eine juckreizstillende (cortisonfreie!) Salbe und Silicea C6 (als Tabletten zum Auflösen). In den folgenden Monaten dann auch Silicea C30 und C200.
Bereits ca. 8 Monate später war das Ekzem vollständig abgeklungen! Auch der Juckreiz war verschwunden.
Anmerkung:
Die Entwicklung – zunächst Milchschorf, dann Neurodermitis – ist typisch für den Verlauf. Man hätte auch mit Cortisonsalben sicherlich das Ekzem unterdrücken können, — aber eben nur unterdrücken. In nicht wenigen Fällen ist dann aber zu beobachten, dass sich häufig danach Allergien und auch allergisches Asthma entwickeln. Daher sollte immer das Bestreben sein, zumindest eine längere Cortison-Behandlung zu vermeiden.
Weiterer Verlauf:
Der gute Zustand hielt fast ein ganzes Jahr an, dann aber in 2007 traten wieder Hautausschläge auf. Zunächst nur an den Handgelenken, später dann auch wieder am Kopf und Bauch, jetzt auch mit Krustenbildung. Außerdem kam es zu häufigeren Infekten: Bronchitis, Otitis media (Mittelohrentzündung), was aber wohl auch mit der Aufnahme im Kindergarten zusammenhing. Sie bekam – auch wegen der akuten Infekte – in den nächsten Monaten verschiedene homöopathische Mittel: Graphites C12, Calcium phos. C30, Rhus tox. C30, Sulfur C30, Drosera C6, Chamomilla C12. Die Infekte ließen sich sehr gut behandeln und klangen meist in wenigen Tagen ab.
Auch der Hautausschlag besserte sich zwar, aber insbesondere an den Handgelenken blieb er bestehen.
Weiterhin habe ich mir notiert: Hautausschlag, schlimmer bei Kälte. Kratzt sich hin und wieder an der Hand. Verschlimmerung durch Baden, das Kind will überhaupt nicht baden (was für einen Säugling ungewöhnlich ist). Konstitution: helle Komplexion, sehr feines Haar, trockene Haut. Wehrt sich gegen Ausziehen (Furcht vor Baden).
Repertorisation jRep/TTB Bönninghausen:
jRep-Auswertung von KKarad 08533 : 2007
- bttb II. — 34. ARME — HANDGELENKe ° [ 103 ]
- bttb III. — 4. HAUT — AUSSCHLAG — TROCKeNER KK ° [.37 ]
- ++bttb+P VI. — 2. agg — VON WASSER ¦ (& WASCHEN) · Baden °° [.42 ]
- bttb III. — 1. — WASCHEN · SCHEU VOR · Abneigung gegen [.40 ]
- bttb III. — 4. HAUT — FLECHTEN — JÜCKENDE · juckende · Lichen [.67 ]
- bttb+P‑P VI. — 3. amel — VON WASCHEN · Baden · Wasser ° [.23 ]
Calcium phos. und Sulfur haben den Hautausschlag höchstens vorübergehend gebessert. In 2008 bis 2009 auch wieder Infekte, Fieber, Husten. Das Hautbild wechselhaft. Josefine bekam auch noch Phosphorus C30 und Tuberkulinum C30. Der Zustand war immer noch erträglich, die Infekte nicht wirklich schlimm, aber die Gesamtsituation blieb unbefriedigend.
Im August 2009 gab es dann sogar eine deutliche Verschlechterung: Nach vorübergehender Besserung jetzt erneut Zunahme der Beschwerden. Hautausschlag in den Beugefalten, an den Handgelenken sowie trockener Ausschlag im Gesicht, juckend. Die Modalität hat sich verändert: Besserung – insbesondere des Juckreizes — jetzt durch kalte Umschläge!
Gemütszustand: Ist sehr zurückhaltend, sagt hier kaum ein Wort.
Repertorisation jRep/TTB Bönninghausen:
jRep-Auswertung von KKarad 08533 : 2009
- bttb III. — 4. HAUT — FLECHTEN — JÜCKENDE · juckende · Lichen [.67 ]
- bttb II. — 34. ARME — HANDGELENKe ° [ 103 ]
- bttb+P VI. — 3. amel — BEIM KALTWERDEN · kalte Umschläge · Auflagen · Anwendungen °° [.73 ]
- ++bttb+P I. — 1. — SANFTHEIT · mild · (ungewohnt) [.37 ]
- bttb+P‑P VI. — 2. agg — BEIM KALTWERDEN ¦ kalte Umschläge · Auflagen · Anwendungen °° [.78 ]
- ++bttb+P‑P I. — 1. — GEREIZTHEIT · aggressiv · ärgerlich · heftig · zornig °° [.63 ]
Mittelgabe:
Sie bekommt jetzt wieder Silicea C200.
Materia Medica – Abgleich
Hier einige Passagen aus J. T. Kent: Homöopathische Arzneimittelbilder (Haug-Verlag):
Silicea, Acidum silicicum; Kieselsäure, Kieselerde
Die Wirkung von Silicea ist langsam. Bei den Prüfungen dauerte es stets längere Zeit, bis sich Symptome entwickelt hatten. Das Mittel eignet sich daher vor allem für Beschwerden, die nur allmählich entstanden sind. …Dem Geistes- und Gemütszustand von Silicea, der gekennzeichnet ist durch Schwäche, Befangenheit, Furchtsamkeit und Nachgiebigkeit, fehlt dieser Halt. … Grindiger oder schuppiger Ausschlag auf dem behaarten Kopf. »Schmerzhafte Empfindlichkeit der Kopfhaut; die Haut schält sich ab, mit Jucken und Beißen; …Pustulöse und vesikuläre Ausschläge breiten sich im Gesicht aus. Die Nasenflügel reißen ein, und die Lippen springen leicht auf. Schorfe bilden sich an den Haut-Schleimhaut-Übergängen, und darunter induriert das Gewebe; die Schorfe schälen sich ab, die Haut will aber nicht verheilen….
Repertorisation und Mittelfindung:
Bei der Repertorisation habe ich auch Lokalsymptome verwendet, weil sich gerade an den Handgelenken die Neurodermitis über einen langen Zeitraum eben genau dort manifestierte.
Wenn ich nur wenige Symptome habe, repertorisiere ich gerne mit jRep Bönninghausen-TTB, zumal hier auch eine Polaritätsanalyse stattfindet.
Ausschlaggebend war aber hier auch der Typus: Zurückhaltendes, eher schüchternes und „zartes“ Kind. Dies wäre z. B. bei Sulfur in der Regel anders.
Homöopathische Erstanamnese
Weil ich sozusagen eine gelebte Anamnese hatte, weil ich das Kind bereits als Baby behandelt habe (zudem sind die Eltern auch bei mir in Behandlung), habe ich keine echte Erstanamnese bei Josefine gemacht. Das war ein Fehler: So kann man selbstverständlich auch beim Kleinkind über die Mutter viele Dinge abfragen: Stillzeit, Zahnungsbeschwerden, Schlafverhalten, Essverhalten, motorische Entwicklung etc..
Verlauf, Follow up:
Im Oktober war der Hautausschlag wieder vollständig abgeklungen, hatte noch trockene Haut und hin und wieder Juckreiz. Beim Kontrolltermin im Februar 2011 war Josefine beschwerdefrei.
Ich habe sie dann 2016 noch einmal gesehen und zuletzt im August 2018. Die Neurodermitis ist nicht mehr aufgetreten. Wegen der trockenen Haut und Kopfschuppenbildungen erhielt sie noch einmal Sulfur LM6. Ansonsten gab es bislang keinen weiteren Therapiebedarf.
Fazit:
Der Fall zeigt auch, dass man sich durch Rückschläge nicht entmutigen lassen soll und dass alle Beteiligten auch Geduld brauchen. Am Ende wird man jedoch belohnt; vor allem behandelt man auf diese Weise nicht nur die Hautprobleme, sondern tut auch was für die Gesamtkonstitution: weniger Infekte bis hin zu psychischer Stabilisierung und Förderung der Gesamtentwicklung. Daher: Je eher die Behandlung beginnt, um so besser!
Copyrhight Dr. Karsten Karad 2020