Post-Covid-Syndrom („Long Covid“), erfolgreiche homöopathische Behandlung
[Dr. Karsten Karad, 13.03.2021]
Die meisten positiv Covid-19-getesteten Patienten in unserer Praxis (ca. 80%) hatten nur leichte gripp. Symptome. Einige Patienten aber, insbesondere in der zweiten Welle, haben auch anhaltende Beschwerden nach Covid-19-Infekt, allerdings individuell variierend.
Die Patienten klagen über:
- Leistungsdefizit, Müdigkeit über Tag (Fatigue-Syndrom)
- Kurzatmigkeit, Atembeklemmung schon bei geringer Belastung. Gefühl von „Druck auf der Brust“ und „Nicht richtig durchatmen können“
- Herzrasen, Herzklopfen, ebenfalls schon bei geringer Belastung
- anhaltenden Reizhusten
- Schleimbildung im Rachen und verstopfte Nase
- Geschmacksveränderungen, „Zungenbrennen“, Geschmacks- oder Geruchsverlust
- Psychische Symptome: depressive Verstimmung, Antriebslosigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisleistungsstörungen
- Auch gastrointestinale Symptome: Magendrücken, Sodbrennen, Stuhlunregelmäßigkeiten
Dies deckt sich auch mit Literaturangaben:
z. B. Springer-Medizin-Verlag, „Gibt es ein Post- COVID-Syndrom?“ von Christine Starostzik
Der konventionelle Therapie-Ansatz
Zunächst einmal sollten alle notwendigen Untersuchungen erfolgt sein, also Laborparameter, Lungenfunktion etc., soweit notwendig auch eine kardiologische Untersuchung (Ausschluss Myokarditis, Kardiomyopathie), Röntgen-Thorax, ggf. auch CT-Thorax,. Erstaunlicherweise waren die Untersuchungsergebnisse bei unseren Patienten meistenteils unauffällig.
Mit dem konventionellen Therapieansatz z. B. mit Vitamin-B-Komplex, oder mit der oft empfohlenen Vitamin-D-Gabe sahen wir in keinem einzigen Fall einen Therapievorteil, der über dem Placeboeffekt hinausging.
Dies deckt sich auch mit den Ergebnissen aus der Forschung: Vitamin-D-Gabe ist nutzlos:
Homöopathische Therapie
Exemplarisch möchte ich einige Fälle von Post-Covid-Syndrom und deren homöopathische Behandlung vorstellen. Ich werde allerdings die Namen der verwendeten Mittel bewusst nicht (oder nur manchmal) nennen. Die Versuchung wäre zu groß, in Unkenntnis der homöopathischen Prinzipien die Mittel einfach nach dem Muster der „bewährten Indikation“ zu kopieren.
Gerade die individuelle Ausprägung der Symptomatik, die – wie Hahnemann sagte – „die auffallendern, sonderlichen, ungewöhnlichen und eigenheitlichen (charakteristischen) Zeichen und Symptome“ sind für die Mittelbestimmung entscheidend und nicht die allgemeine Diagnose „Post-Covid-Syndrom“. Genau das möchte ich hier darstellen. Außerdem kommen häufig verschiedene Mittel zur Anwendung, die allerdings in der richtigen Reihenfolge und Dosierung gegeben werden müssen. Ein echter Homöopath wird das nachvollziehen können.
Ich habe außerdem hier nicht die klassische Repertorisation mit Synthesis nach Kent oder Boger angewendet, auch nicht die Polaritätsanalyse nach Dr. Heiner Frei mit dem Bönninghausen TTB, sondern die Prüfsymptomanalyse, original nach S. Hahnemann.
Fall 1
58jährige Patientin, Erzieherin, bereits seit ca. 20 Jahren bei uns in hausärztlicher Behandlung. Konsultationsanlässe waren auch schon in der Vergangenheit häufige Atemwegserkrankungen.
Jetzt (Dez. 2020): trockener Husten, leichte Halsschmerzen, Heiserkeit, dabei pochende Kopfschmerzen, Nackenverspannungen, kein Fieber, in der Folge: PCR-Test auf Covid-19: positiv.
Für die Symptomanalyse wichtig und auffällig:
Husten + klopfende Kopfschmerzen:
(ck = chronische Krankheiten, S.H.)
Arges Pochen in der Stirn, drei Tage lang, mehr Nachmittags, mit Strammen im Genicke | |
Pochender Kopfschmerz in der rechten Schläfe bei Bewegung; für sich sonst nur drückend. | |
Ein schmerzhaft drückendes Pochen in der Stirn, wie mit einer stumpfen Spitze. | |
ck0827 | Arger Fliessschnupfen, zwei Wochen lang, mit schmerzhaftem Nacht-Husten und siebentägigem Kopfschmerze. |
Homöopathische Behandlung mit C. C200, darunter zunächst Besserung des Hustens und der Kopfschmerzen. Aber auch 8 Wochen später war die Patientin weiterhin nicht wieder vollständig hergestellt:
Es blieb eine Schwäche bzw. schnelle Erschöpfung, Atembeklemmung bei mäßiger Belastung. Hitzegefühl im Brustkorb.
Für die Mittelwahl ist hier das Hitzegefühl im Brustkorb als „eigenheitliches Zeichen“ auffällig:
Rubrik:
o — BRUST ÜBERHAUPT — b — _Hitze einzelner Theile 112s !!!
b — _ATHEMNOT — m — (_anstrengung körperlich agg ¦ arbeiten) 28s
Die Patientin bekam jetzt S. C200. Nur 10 Tage später berichtet die Patientin:
Deutliche Besserung, deutlich leistungsfähiger. Kann sogar wieder joggen etc. Leichte Restbeschwerden: Nur noch selten tritt eine leichte Erschöpfung auf. Selten auch trockener Husten, jedoch nur noch bei stärkerer Anstrengung. Geht die nächste Woche wieder arbeiten.
Die Behandlung war danach erfolgreich abgeschlossen.
Fall 2
43jähriger Patient, Schlosser, bisherige Behandlung wegen Magenschmerzen, Oberbauchkrämpfe und Übelkeit.
Im November 2020: Grippale Symptome, Husten, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Stirnhöhlenschmerzen, zusätzlich Durchfall. Der PCR-Abstrich ergibt Covid-19 positiv. Quarantäne, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per Post.
Nach der Quarantäne führen wir eine Vitamin-B-Komplex i.m.-Injektionsserie durch, die aber keine wesentliche Besserung bringt.
Im Januar 2021, also ca. 8 Wochen später: Nach Corona-Infekt klagt er weiterhin über Leistungsdefizit, Belastungsdyspnoe (Luftnot bei mäßiger Belastung), Stirnkopfschmerz. Durchfall und Übelkeit, (treten allerdings seltener auf). Schlafstörungen – waren zuvor stärker ausgeprägt – sind jetzt erträglich.
Hier ist das „eigenheitliche Merkmal“:, Stirnkopfschmerz, Bronchialerkrankung mit gastrointestinalen Symptomen (Durchfall) und auch Übelkeit.
Patient erhielt Antimonium tart. Q3.
März 2021: Besserung: insbesondere die Atemnot bei Belastung ist abgeklungen, wieder leistungsfähig, Kopfschmerzen deutlich gebessert. Restbeschwerden: leichte Übelkeit, unabhängig vom Essen. Th: Abwartendes Procedere, Mittel wirken lassen.
Fall 3
34jähriger Patient, Akademiker, die Covid-19-Diagnose wurde durch PCR-Test bereits im Januar (allerdings nicht in unserer Praxis) gestellt. Hatte wohl deutliche Krankheitssymptome mit Abgeschlagenheit, Gliederschmerzen, Husten, Kurzatmigkeit.
Kommt Mitte Februar, weil 4 Wochen nach der Covid-Infektion immer noch ein Leistungsdefizit, Abgeschlagenheit und leichte Dyspnoe besteht. Besonders störend ist ein ausgeprägtes Zungen- und Rachenbrennen und eine Veränderung des Geschmacksinnes sowie eine behinderte Nasenatmung (Stockschnupfen).
Rep-Rubriken:
o — HALS INNEN — b — _Brennend ¦ nmk 154s !!!
b — _ATHEMNOT — b — (kraftlos allgemein ¦ schwäche) 48s
o — MUND — b — (veränderung geschmack) 30s
0* b — _BRENNEND — m — (essen amel) 7s
o — NASE ÜBERHAUPT — b — (_festsitzender schnupfen ¦ stockschnupfen) 48s
b — _MÜDIGKEIT — b — Kraftlos allgemein ¦ Schwäche 201s !!!
Der Patient erhält S. Q3.
10 Tage später: Beschwerden im Vergleich zum letzten Mal leicht gebessert, insbesondere das Zungenbrennen. Nase noch zu. Atmung noch behindert. Weiter Leistungsdefizit und Müdigkeit. Wird einen Arbeitsversuch machen. (Behandlung noch nicht abgeschlossen, Arbeitsversuch ist aber geglückt).
Fall 4
50jährige Patientin, Verkäuferin, ist schon seit längerem wegen rezidivierendem BWS-Syndrom und HWS-Nacken-Schulter-Syndrom in Behandlung. Sie war im August 2020 wegen leichter Atembeschwerden bei tiefer Einatmung in der Praxis, was jedoch auf ihr BWS-Syndrom zurückgeführt wurde. Im Oktober dann gripp. Symptome: Schnupfen, belegte Stimme, Halsschmerzen. Die Symptome erschienen aber uncharakteristisch, so dass auf einen Corona-Test verzichtet wurde (was im Nachhinein ein Fehler war). Außerdem klagte sie über Schmerzen in der rechten Leiste (am ehesten Adduktoren-Zerrung).
In den Wochen darauf dann: Leistungsdefizit, Belastungsdyspnoe (Atemnot bei mäßiger Belastung) und Herzrasen bei Belastung.
Im Dezember haben wir dann einen Antikörper-Test auf Covid-19 durchgeführt, der positiv ausfiel. Somit Post-Covid-Syndrom als Erklärung für die Belastungsdyspnoe und die Tachykardie (Herzrasen). Der gripp. Infekt im Oktober wird somit Corona-Infekt gewesen sein.
Im Januar dann homöopathische Analyse: Post-Covid-Syndrom: Bei Belastung — Tachykardie und Atembeklemmung, Kurzatmigkeit. Insgesamt deutliches Leistungsdefizit, Abgeschlagenheit. Auch in Ruhe: Brustschmerzen, schlimmer beim Liegen im Bett. Druckgefühl im Thorax und ziehender Schmerz, Ausstrahlungsschmerz li. Arm, “Verkrampfungsgefühl” zwischen den Schulterblättern, was den Atem nimmt; Wärme/Kälteeinwirkung führt zu keiner wesentlichen Änderung.
Es wurde hier auch (bereits im Dezember) eine kardiologogische Untersuchung veranlasst mit folgendem Befund:
D: Paroxysmale Sinustachykardie. Echo.: Normal großer li. Ventrikel mit einer Auswurffraktion von 66%. Die kardiologischen Untersuchungsergebnisse ergeben einen Normalbefund. Auch die bei uns durchgeführten Untersuchungen (Lungenfunktion, Blutlabor) ergaben keine pathologischen Befunde.
Hat zwischenzeitlich auch eine osteopathische Behandlung in Anspruch genommen, was aber eher zu einer Verschlechterung geführt hatte.
Für die homöopathische Mittelfindung ist hier auffällig: Atemnot mit Herzrasen, Druckgefühl auf der Brust, schlimmer im Liegen und Sitzen (und nicht bei Belastung!).
Ich habe mich dann aber auf:
Brustschmerzen + Brustwirbelsäulenprobleme sowie die Schwäche konzentriert:
Prüfungssymptome:
Beim Aufheben einer Last kam es ihr plötzlich zwischen die Schulterblätter, wie verhoben, mehr linker Seite, dabei heftige scharfe Messer-Stiche beim mindesten Bewegen, Athmen oder Gähnen; beim hinter Biegen fühlt sie unerträgliche Schmerzen. | ||
Grösste Abspannung des Geistes und Körpers; er dauert nicht lange bei einer Arbeit aus, muss sich bei unwiderstehlicher Schläfrigkeit legen und schlafen, wobei er oft unter gleichgültigen Träumen aufwacht. | ||
Kraftlosigkeit, als wären ihr die Beine zerschlagen. | ||
Ungeheure Schwerfälligkeit; er will immer sitzen oder liegen, und beim Niedersetzen fällt er gleichsam auf den Stuhl, weil ihm die Kraft fehlt, dies langsam zu thun. |
Ich habe Stannum Q3 verordnet. Stannum gilt in der Homöopathie als eines der Hauptmittel bei Schwäche und Atembeschwerden.
Im Februar 2021 dann erneute Konsultation: Nach Stannum Q3 zunächst Besserung, Thoraxbeklemmung besser, dann aber wieder alter Zustand. Weiterhin Verspannungen: HWS-Bereich, Schmerzen im BWS-Bereich, zwischen den Schulterblättern. Nach Osteopathie-Behandlung eher Verschlechterung der Tachykardie.
Fazit: Stannum war das falsche Mittel. Es hat praktisch nichts bewirkt, der Zustand ist genau so schlecht wie zuvor. Hier zeigt sich m. E., dass es eben – wie die Kritiker der Homöopathie immer behaupten – keine Placebotherapie ist. Denn nur bei korrekter Mittelwahl erfolgt auch eine Heilwirkung. Es erfordert manchmal etwas Geduld, bis das richtige Mittel gefunden ist.
Nach erneuter Repertorisation – Schwerpunkt jetzt auf Brustschmerzen, Atembeklemmung und Herzrasen:
- Beängstigung in der Brust, als wäre sie zu enge, mit kurzem Athem, vorzüglich im Sitzen, und Drücken | auf der Brust, besonders beim Einathmen; das Herz schlägt ängstlich und zitternd. | |||
Arges Herzklopfen mit ungeheurer Angst und Unruhe, Beklemmung der Brust und Schmerz im Rücken; sie giebt bei jedem Athemzuge einen starken Laut von sich, als wollte die Luft ausgehen, unter Kälte des Körpers und kaltem Schweiße. | |||
Kurzäthmigkeit, schlimmer im Sitzen, als bei Bewegung. | |||
- Große, ängstliche Engbrüstigkeit und schweres Einathmen, wie Spannung am untern Theile der Brust; es benahm ihm, bei Bewegung und im Sitzen, eine Stunde lang den Athem, fast bis zum Ersticken | |||
- Beängstigung in der Brust, als wäre sie zu enge, mit kurzem Athem, vorzüglich im Sitzen, und Drücken | auf der Brust, besonders beim Einathmen; das Herz schlägt ängstlich und zitternd. |
Die Patientin erhielt C. Q3. Ob diese Mittelwahl nun besser ist, muss sich noch zeigen. Der nächste Termin ist erst in einigen Tagen. Die Behandlung ist noch nicht abgeschlossen.
FAZIT: Die homöopathische Behandlung des Post-Covid-Syndroms („Long Covid“) ist durchaus erfolgversprechend.
Die Mittelwahl ist aber auf die besondere individuelle Symptomatik abzustimmen. In den o.g. Fällen erhielten die Patienten alle unterschiedliche Arzneien.
Und: Heilung ist ein Prozess, der gerade bei dieser Erkrankung einige Zeit in Anspruch nimmt und meist nicht spektakulär „mit einem Schnipp“ erfolgt. Die Patienten (wie auch der Arzt) brauchen Geduld.